Abstract
Das Konzept der „Intertextualität” entstammt ursprünglich der modernen Literaturtheorie und steht in engem Zusammenhang mit dem bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem russischen Literaturtheoretiker und Philosophen Michail Bachtin entwickelten Konzept der „Dialogizität”. Dieses auch unter der Bezeichnung „Dialogismus” bekannt gewordene Konzept ist Teil eines ideologiekritischen Ansatzes, mit dem sich der Autor gegen den im sozialistischen Realismus vorherrschenden „monologischen”, d.h. affirmativen und widerspruchsfreien Gebrauch von Sprache in bestimmten literarischen Genres wendet. Indem jeder literarische Text als Dialog zwischen Autor und Leser, als Zeichen in Relation zu anderen Texten und Zeichen und somit als offenes, dynamisches System verstanden wird, liefert das Bachtinsche Konzept entscheidende Anstöße zur Entgrenzung des in der traditionellen, strukturalistischen Literaturwissenschaft deutlich enger gefassten Textbegriffs, bei dem der Text bzw. das literarische Werk als statische und in sich geschlossene, organische Einheit angesehen wird. Stellvertretend für die poststrukturalistisch-dekonstruktivistische Entgrenzung des Textbegriffs steht der Name der bulgarischen Semiotikerin Julia Kristeva, die in unmittelbarer Weiterentwicklung der Theorien Bachtins Mitte der sechziger Jahre erstmals den Begriff der „Intertextualität” in die texttheoretische Diskussion einführt, um damit die komplexen Beziehungsverhältnisse zu kennzeichnen, die zwischen Texten bestehen (können). Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit dem Konzept der Intertextualität aus fachtextlinguistischer Perspektive und untersucht das komplexe Geflecht der in fachwissenschaftlichen Texten und Textsorten anzutreffenden Formen und Funktionen „Fachlicher Intertextualität”. Wodurch konstituiert sich Intertextualität in akademisch-wissenschaftlichen Fachtexten? Welche Spielarten Fachlicher Intertextualität lassen sich unterscheiden und durch welche sprachlichen, graphischen und/oder typographischen Mittel werden diese realisiert? Welche kommunikativ-funktionalen Ziele können Textproduzenten durch die bewusste und intendierte Herstellung von (markierter) Intertextualität in akademisch-wissenschaftlichen Fachtexten verfolgen? Um diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen, werden im Rahmen eines pragmalinguistisch ausgerichteten Ansatzes „Intertextuelle Bezüge” (ITBs) als an der Textoberfläche erscheinende Realisierungen der von Textproduzenten vollzogenen sprachlichen Handlungen des Bezugnehmens („Intertextuelle Bezugnahmen”) definiert und zur zentralen Analyseeinheit eines systematischen, aus verschiedenen Dimensionen und Optionen bestehenden Untersuchungsmodells gemacht. Dieses Modell wird in einer kontrastiv-interlingual angelegten, empirischen Untersuchung exemplarisch auf ein umfangreiches Korpus bestehend aus sechzig Textproben aus deutsch- und englischsprachigen Wissenschaftlichen Zeitschriftenaufsätzen aus dem Bereich der modernen synchronen Linguistik angewendet. Neben interlingualen bzw. interkulturellen Aspekten wird dabei auch der mögliche Einfluss bestimmter außersprachlicher (sozialer) Faktoren der im Korpus vertretenen TextproduzentInnen berücksichtigt, die im Vorfeld der Untersuchung mittels Fragebogen ermittelt wurden (z.B. Geschlecht, Alter, Publikationserfahrung). Die ermittelten Ergebnisse werden in tabellarischer Form präsentiert und vergleichend diskutiert. Neben verschiedenen interlingualen bzw. interkulturellen Unterschieden, die sich hinsichtlich der einzelnen Dimensionen und Optionen zwischen den deutsch- und englischsprachigen Texten ergeben haben, werden auch einige Tendenzen hinsichtlich der untersuchten außersprachlichen Merkmale der Textproduzenten aufgezeigt, durch die sich bestimmte, in der linguistischen Literatur und/oder den eingegangenen Fragebögen anzutreffende Hinweise teils bestätigen, teils widerlegen lassen. Die Arbeit versteht sich als angewandt-linguistischer Beitrag zur Erforschung der akademisch-wissenschaftlichen Fachsprache im Allgemeinen bzw. der Fachsprache der Linguistik im Besonderen, in der neben fachtextlinguistischen auch pragmalinguistische, soziolinguistische und wissenschaftssoziologische Aspekte ins Blickfeld geraten, wie z.B. die Rolle von Intertextualität als Mittel zur sozialen Interaktion in Fachgemeinschaften, bei der Entstehung und Tradierung von Wissen sowie bei der Herausbildung und Konsolidierung disziplinenspezifischer Diskursstile und Fachkulturen.
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