Abstract

Das frühe Christentum gilt vielfach als reines Unterschichtsphänomen und damit auch als bildungsfern. Diese Sicht ist aus mehreren Gründen unzutreffend: (1) Von der Schichtenzugehörigkeit kann in der Antike nicht auf den Bildungsstand geschlossen werden. (2) In den frühchristlichen Stadtgemeinden konnten sicherlich mehr als 50\% der Mitglieder ausreichend lesen und schreiben. (3) Die Sozialisation innerhalb der frühen Gemeinden vollzog sich maßgeblich durch Bildung und Literatur. Keine religiöse Gestalt wurde zuvor (und danach) so schnell und so umfassend literalisiert wie Jesus Christus! (4) Die frühen Christen traten als eine kreative literarische und denkerische Bewegung auf; sie lasen das Alte Testament in einem neuen Kontext, sie schufen neue Gattungen (Evangelien) und formten bestehende Gattungen um (Paulusbriefe, Wunder, Gleichnisse). (5) Von Anfang an basierte die erstaunliche Literaturproduktion des frühen Christentums auf einer historischen Strategie, die Geschichte schrieb und Geschichte machte. (6) Zudem waren die frühen Christen zu einem erheblichen Teil zweisprachig und in der Lage, höchst anspruchsvolle Schriften wie einen Paulusbrief oder ein Evangelium zu rezipieren und weiterzuverbreiten. (7) Wer sich der neuen Bewegung der Christen anschloss, trat schon früh in eine bereits ausgebildete Lehr- und Sprachwelt ein. (8) Deshalb ist in den Gemeinden ein relativ hohes intellektuelles Niveau vorauszusetzen, denn ein Vergleich mit der griechisch-römischen Religion, lokalen Kulten, den Mysterienreligionen und dem Kaiserkult zeigt, dass das frühe Christentum eine Religion mit einer sehr hohen Literaturproduktion sowie kritischer Reflexion und Brechung war.

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