Wenzel, Horst: Mediengeschichte vor und nach Gutenberg. Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. ISBN 978-3-534-20080-1; 312 S.;
EUR 59,90.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Rudolf Stöber, Universität Bamberg
E-Mail: <rudolf.stoeber@split.uni-bamberg.de>
Horst Wenzel, emeritierter Mediävist und Kulturwissenschaftler, hat mit
seiner Mediengeschichte vor und nach Gutenberg eine Reihe von Aufsätzen
wieder vorgelegt, die ursprünglich zwischen 1990 und 2005 in
verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden erschienen sind.
Eingeleitet wird der Band von einem extra für die Buchpublikation
verfassten Literaturüberblick über die Diskussion der Medienumbrüche.
Trotz der disparaten Entstehung wirkt das Buch homogen, der Eindruck
wird noch durch die pädagogische Leserführung verstärkt: kurze
Eingangserläuterungen zu dem nächsten Abschnitt, thesenartige
Zusammenfassungen am jeweiligen Schluss. Die Sprache Wenzels ist
unprätentiös, das Buch ansprechend und instruktiv bebildert. Man kann
es, um ein Thema des Buches zu variieren, linear lesen, muss es aber
nicht.
Die zentrale These des Buchs ist vielleicht diese: Neue Medien variieren
die alten, setzen sie voraus, mit anderen Mitteln fort und wirken wieder
auf die alten zurück. Als wichtigste Medienumbrüche bezeichnet Wenzel die Erfindung der Schrift, des Buchdrucks und der digitalen Medien. Folgerichtig ist das Buch in drei Hauptkapitel untergliedert: 1.
�Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit�, 2. �Von der
Manuskriptkultur zum Buchdruck� und 3., allgemein benannt, aber den Bogen von Mündlichkeit/Schriftlichkeit zur digitalen Revolution
spannend, �Die alten und die neuen Medien�. Damit umreißt Wenzel
zumindest theoretisch die conditio humana. Man kann weder der großen Linie, noch der abstrakten Generalaussage zum Verhältnis alter und neuer Medien widersprechen. Und doch wirkt es merkwürdig, wenn man liest �wie sehr das neue Medium sich in den Kategorien des alten Mediums definiert�(S. 71). Oder noch ein zweites, ähnlich lautendes Zitat: �Es erscheint als Grundregel der Kommunikationsgeschichte, dass jedes neue Medium sich
zunächst dem alten Medium angleicht und erst langsam seine eigenen
Möglichkeiten durchsetzt� (S. 77). Medien agieren nicht, sie sind
Kulturtechniken, deren Funktionen von der Gesellschaft bestimmt werden und deren Möglichkeiten von den Nutzern erst entdeckt werden müssen.
Daher bin ich überzeugt, dass Wenzels richtige Diagnose mehr
Erklärungswert erhält, wenn sie nicht an technizistische Erklärungen à
la Friedrich Kittler oder systemisch-leblose à la Michael Giesecke
angeschlossen werden, sondern als Dreischritt aus technischer Invention, sozialer Innovation und Diffusion strukturiert werden.
Da das andernorts ausführlich dargestellt wurde, sei hier nur eine
Konsequenz für Wenzels Zentralthema, den Medienumbruch Gutenbergs hervorgehoben.1 Wenzel bemerkt zu Recht, dass mit dem Buchdruck der Schriftausstoß sich noch gesteigert habe und führt dies auf den Buchdruck selbst zurück (S. 180-186). Man muss den Buchdruck jedoch als technische Invention begreifen, die dank kultureller Notwendigkeiten quasi in der Luft gelegen hatte: Der seit dem Hochmittelalter stetig wachsende Bedarf an Schriftlichkeit hatte schon vor Gutenberg verschiedene Rationalisierungen der Verschriftlichung hervorgebracht (zum Beispiel Blockbücher). Insofern ist Gutenbergs Erfindung also nicht mehr und nicht weniger als die Apotheose der Schriftkultur und mithin zunächst nur ein besser produziertes altes Medium. Damit aber muss man keine Rückwirkung des Drucks auf den erhöhten Schriftausstoß postulieren. Vielmehr folgte die Expansion des Schriftverkehrs nur dem schon vor Gutenberg einsetzenden Trend. Dass in der Erfindung jedoch
wesentlich mehr steckte, erfuhr die Gesellschaft Mitteleuropas
spätestens während der Reformation: Dieser Innovationsprozess der
sozialen Institutionalisierung des neuen Mediums Presse wird von Wenzel nur in den durchaus wichtigen Flugschriften der Reformation behandelt, die unterschätzte, aber gleichwohl epochale Entwicklung der periodischen Presse auf der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert findet bei ihm �obschon seit Jahrzehnten erforscht � leider keinen Niederschlag.2
Von den Flugschriften stellt Wenzel unter anderem das zentrale
�Passional Christi und Antichristi� ausführlicher dar. Dabei vermag ich ihm nicht zu folgen, wenn er meint: �Die argumentative Kraft der Bilder ist so zwingend, dass es eines Begleittextes gar nicht bedarf� (S. 208).
Die Flugschrift lebt geradezu von der Text-Bild-Kombination. Hätte er
die kirchenpolitisch brisanteste zweite Antithese über die
Konstantinische Fälschung vorgestellt, wäre das Urteil sicherlich anders
ausgefallen.3 Nur am Rande sei notiert, dass geradezu folgerichtig
Wenzel in Anschluss an Erdmann Weyrauch das Reformationszeitalter als
Geburtsstunde des offenen Briefes begreift. Die Bedeutung des offenen
Briefes für Luther, seine Weggefährten und Widersacher ist unbestritten,
doch wurde er schon früher mehrfach und mit durchschlagendem Erfolg
eingesetzt: zum Beispiel in den hochmittelalterlichen
Auseinandersetzungen des Investiturstreits.
In mehreren Kapiteln setzt sich Wenzel mit den Wechselwirkungen von
Visualisierung und Verschriftlichung auseinander. Die instruktiven
Bildinterpretationen gehören zu den stärksten Passagen des anregenden
Buches. Aber auch hier kann sich der Rezensent des Eindrucks nicht
erwehren, dass manches auch anders zu interpretieren gewesen wäre.
Insbesondere bezweifle ich die bisweilen allzu linear konstruierte
Beziehung zwischen den interpretierten Bildwerken. Das mögen jedoch
Kunsthistoriker kompetenter beurteilen. Zumindest in einem Fall, gegen
Ende des Buches, liefert Wenzel eine drastische Fehlinterpretation: Von
der Zentralszene in Michelangelos berühmtem Fresco der Sixtinischen
Kapelle, der Beseelung Adams durch göttlichen Fingerzeig, gibt es �
neben anderen � eine Adaption von Hans Neleman, �Michelangelo Hand with
Robot Hand�.4 Um seine klare Linearität der Verwendung der Hand
(�Gotteshand�, �Zählhand�, �Schreibhand�, �Intonierungshand�,
�Zeichenträgerhand� in der Zeit des Buchdrucks und der
Netzwerkgesellschaft) zu stützen, schreibt Wenzel unter Verweis auf
Nelemans Bild: �Die Cyberhand oder der Cyberarm wird zumindest in
bildlichen Metaphern als eine Annäherung an die umfassende Macht der
Gotteshand verstanden.� (S. 282) Das Gegenteil ist richtig: Mensch und
Schöpfer haben die Position getauscht, Adam haucht jetzt den Cyborgs
Leben ein.
Überhaupt vermögen mich die beiden Abschlusskapitel wegen etlicher
kulturwissenschaftlicher Beliebigkeiten am wenigsten zu überzeugen. Das
tut den übrigen anregenden Teilen aber keinen Abbruch, so dass man das
materialreiche und belegdichte Buch auf jeden Fall fast durchgängig mit
Gewinn liest.
Anmerkungen:
1 Vgl. Stöber, Rudolf, What media evolution is. A theoretical approach
to the history of new media, in: European Journal of Communication, 19
(2004), 4, S. 483-505; ders., Mediengeschichte. Die Evolution �neuer�
Medien von Gutenberg bis Gates. Eine Einführung, 2 Bde., Wiesbaden
2003.
2 Vgl. mit neuesten Forschungsergebnissen: Welke, Martin; Wilke,
Jürgen (Hrsg.), 400 Jahre Zeitungen. Ein Medium macht Geschichte. Die
Entwicklung der Tagespresse im internationalen Kontext, Bremen 2007.
3 Vgl. Stöber, Rudolf, Martin Luthers �Passional Christi und
Antichristi�. Ein Plädoyer für die historisch-systematische
Kommunikationswissenschaft, in: Publizistik, 45 (2000), 1, S. 1-19.
4 Abgebildet unter:
<http://www.amazon.de/gp/reader/3593352419/ref=sib\_dp\_pt/303-1901850-6509015\#reader-page>
(10.12.2007).