27.03.2008 · 16:50 Uhr
Computer-Tastatur (Bild: Stock.XCHNG / Brad Martyna) Computer-Tastatur (Bild: Stock.XCHNG / Brad Martyna)
Von Philip Banse
Die Internetbranche in China kann Zuwachsraten von 20 Prozent pro Jahr vorweisen. Fast im ganzen Land können sich Menschen einloggen und im Netz surfen. Doch viele Seiten werden von staatlichen Stellen gesperrt. Die Mächtigen im Reich der Mitte setzen auf Wachstum und Kontrolle.
Werner Zorn geht jetzt in den Ruhestand. Ein Platz in der Technik-Geschichte ist dem Informatik-Professor sicher: Werner Zorn hat die werdende Weltmacht China ans Internet angeschlossen. Vor 20 Jahren war das. Jahrelang bastelte, organisierte und sondierte der Computer-Wissenschaftler mit seinem deutsch-chinesischen Team, besorgte Rechner, mietete Leitungen - und schrieb am Ende eine E-Mail, aus China, das hatte es noch nie gegeben.
"Wir wussten ja schon, dass das eine große Sache war. Und so schrieben wir: Über die Große Mauer erreichen wir alle Ecken der Welt. Das war die Überschrift der ersten E-Mail. Und das war der Startschuss für die Vernetzung in China selbst."
Die Kommunisten investierten Milliarden in den Ausbau des chinesischen Internets. Bald sind die Chinesen auch das größte Volk im Cyberspace: Rund 160 Millionen Menschen zwischen Peking und Urumchi sind regelmäßig online, Wachstum jedes Jahr: 20 Prozent. Anlässlich der Olympischen Spiele 2008 wird ein neues, schnelles Datenkabel durch den Pazifik gelegt, um Amerika besser anzubinden. Werner Zorn, heute Leiter der Forschungsgruppe "Kommunikationssysteme" am Potsdamer Hasso Plattner Institut, staunt, was seine E-Mail angestoßen hat:
"Die Entwicklung ist atemberaubend. Die haben inzwischen bessere Internetdienste als wir hier. Privathaushalte haben 100 Megabit zu einem Flatrate-Tarif, davon können wir nur träumen. Die sind in einigen Bereichen an uns vorbeigezogen."
Das spüren auch deutsche Firmen in China.
"Es ist enorm, was dort passiert ist. Die Entwicklungsgeschwindigkeit von dem Ganzen hat mich total überrascht."
Sagt Guntram Greaf, Internet-Unternehmer mit Sitz in China.
"Mit meinem Labtop kann ich mich quer durch China bewegen, habe praktisch überall eine Verbindung, das funktioniert also ganz super, und ich denke, dass ist auch ein ganz, ganz wichtiger Faktor für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren."
Guntram Greaf ist verheiratet mit Ailin Greaf, die als Anshe Chung in der virtuellen Welt von Second Life durch den Verkauf von Bauland angeblich zur ersten virtuellen Millionärin wurde. Heute setzt die Software-Firma Anche Chung Studios mit Sitz in China mehrere Millionen Dollar um, sagt Vorstandschef Greaf, reale Dollar. Einen Internetzugang könne sich in chinesischen Metropolen jeder besorgen.
"Das ist ganz einfach. es gibt keine politische Kontrolle, registriert sich einen Internetzugang und das war's."
Doch dann beginnt sehr wohl politische Kontrolle. Internetcafes werden geschlossen, wenn über sie politisch unverwünschte Inhalte verbreitet werden. Zudem ist China bis heute nur durch wenige Kabel mit dem weltweiten Internet verbunden. An den Grenzübergängen hat die Regierung Filter eingebaut, die missliebige E-Mails in den ewigen Cyberspace schicken oder den Zugang zu kritischen Webseiten wie die von Amnesty International oder CNN blockieren. Diese Zensur-Techniken funktionieren, sagt Wolfgang Kleinwächter, Professor für Internetpolitik und Regulierung an der Universität Arhus, doch die Hürden zum weltweiten Internet seien leicht zu umgehen:
"Es ist keine totale Kontrolle, es ist ein ewiges Katz und Maus-Spiel. Sie können Proxy-Server nehmen, sie können Anonymisierungs-Software benutzen. Und wer das versteht in China, der geht einfach um die ganzen Sachen drum herum."
Doch dieses Wissen haben längst nicht alle: Nach einer Studie des staatlichen Internet Informationszentrums ärgern sich immerhin 20 Prozent der chinesischen Internetnutzer regelmäßig darüber, dass sie bestimmte Seiten nicht erreichen.
Viel problematischer als die Zensur an den Außengrenzen sei die Überwachung des innerchinesischen Internets, sagen Experten. Tausende staatlicher Internet-Aufseher suchen mit modernster Technik nach politisch Verdächtigem - in E-Mails, Chats und Weblogs. Kritik am Staat bezahlen viele Dissidenten mit zehn Jahren im Gefängnis. Möglich ist diese Überwachung nur, weil westliche Firmen die Technik dafür liefern. Stephen Wolff ist Manager der US-Firma Cisco Systems, dem Weltmarktführer in Sachen Netzwerktechnik. Stephen bestätigt, dass Cisco zentrale Techniken für die Internetzensur in China liefert:
"Ich kann ihnen nicht sagen, wie die Internet-Filter funktionieren. Es ist eine Bedingung der chinesischen Regierung, dass unsere Netzwerktechnik diese Fähigkeiten haben. Und wenn wir unsere Produkte in China verkaufen wollen, müssen wir diese Überwachungstechniken einbauen. Innerhalb der Firma wurde das sehr kontrovers diskutiert, die Firmenpolitik ist: Wir machen Produkte, um sie zu verkaufen."
Nach Jahrzehnten der Isolierung seien die chinesischen Zensurversuche verständlich, sagt Wolfgang Kleinwächter, von der Universität Arhus, die gesellschaftliche Öffnung brauche Zeit.
"Ich sage nicht, dass es in China keine Zensur gibt, im Gegenteil, es gibt all diese Mittel, mit denen die Parteiführung versucht, wir müssen das ganze unter Kontrolle halten. Aber es gibt viel, viel größere Löcher, es gibt viel mehr Bewegungsspielräume. Und die bloße Bedienung des Boulevards und China-Bashing zu betreiben, das wird der tatsächlichen Lage nicht gerecht. Es wird ihr aber auch nicht gerecht, wenn man den Mantel des Schweigens drüber legt. Das heißt, man muss die Themen ansprechen, muss aber ein bisschen Geduld an den Tag legen, um zu sagen: Das braucht seine Zeit."
Führende Vertreter des chinesischen Staats lassen jedoch nicht erkennen, dass Kontrolle, Überwachung und Repressionen nachlassen werden. Hu Qiheng ist Vorsitzende der Chinesischen Internetgesellschaft, einer de facto staatlichen Organisation, die für die Regulierung des chinesischen Internets mitverantwortlich ist.
"Ohne Kontrolle wird es kein gutes Internet geben. Denn es gibt dort so viele bösartige Sachen: Betrug, Verbrechen, die Störung ihrer Privatsphäre und so weiter. Wir brauchen Kontrolle. Die Frage ist: Wie kontrollieren wir? Das hängt von der Weisheit des Kontrolleurs ab, von der Qualität seiner technischen Werkzeuge. Ich hoffe nicht, dass es in meinem Land mal ein Internet gibt, das nicht kontrolliert und von den Behörden überwacht wird."
Was bleibt ist die Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure?