Zusammenfassung
Über viel „Muße“ zu verfügen war und ist gesellschaftlich ein Privileg, das höchst ungleich verteilt ist. Manchen erscheint sie vor diesem Hintergrund als ein „Luxus“, auf den man notfalls verzichten kann und der eher hedonistischen Charakter hat. Einige glauben sogar, dass „Müßiggang aller Laster Anfang“ ist. Aus einer bildungstheoretischen Perspektive stellt es sich jedoch für Einige genau umgekehrt dar. Ihnen erscheint Muße als Anfang jedes genuinen Bildungs- und Autonomisierungsprozesses, eine wissenschaftliche Auffassung, die schon der berühmteste deutsche Bildungstheoretiker Wilhelm von Humboldt vertreten hat. „Muße“ ist kultursoziologisch gesehen zunächst einmal diejenige Sphäre menschlicher Praxis, in der frei produziert (oder auch rezipiert) wird, d. h. um seiner selbst willen bzw. allein um der Sache willen, mit der man beschäftigt ist. Insoweit ist sie geradezu der Inbegriff von Autonomie und unterscheidet sich grundsätzlich von jener gesellschaftlichen Sphäre der Entfremdung und Fremdbestimmung, der Erwerbsarbeit, Freizeit und Arbeitslosigkeit im klassischen Sinn gleichermaßen angehören. Ein zum würdigen Leben ausreichendes, bedingungslos gewährtes Grundeinkommen würde allen Bürgern „Muße“ auf eine Weise verfügbar machen, die bisher nur privilegierten, sehr vermögenden Kreisen vorbehalten war, wie etwa historisch den berühmten „britischen Gentlemen“, deren Lebensmaxime darin bestand, zu leben, um (frei und selbstbestimmt, in Muße) zu arbeiten (bzw. sinnvoll tätig zu sein) im Unterschied zur Maxime, zu arbeiten, um zu leben (den Lebensunterhalt zu verdienen). Man kann die Einführung eines zum würdigen Leben ausreichenden bedingungslosen Grundeinkommens daher auch als „Demokratisierung der Muße“ bezeichnen. Dieser Gesichtspunkt des bedingungslosen Grundeinkommens bildet in der gesellschaftlichen Debatte ganz ohne Zweifel das Hauptskandalon auf der Seite seiner Kritiker. Denn auch die ebenso notorisch diskutierte Finanzierungsfrage hängt am Ende vor allem davon ab, ob man den Bürgern insgesamt einen vernünftigen Umgang mit derart großen Muße- bzw. Autonomiespielräumen zumuten und zutrauen könnte. Allein der Gedanke einer „Demokratisierung der Muße“ erscheint vielen Kritikern unmittelbar als abwegig, als realitätsfremde, abgehobene sozialromantische Spinnerei. Jedoch wird man die offensichtlich gegebene starke Attraktivität der Grundeinkommensidee erst angemessen verstehen können, wenn man nicht bei einer solchen reflexhaften Abwehr der Idee stehen bleibt, sondern sich insbesondere mit der Frage auseinandersetzt, welche Bedeutung die Verfügbarkeit von Muße in der individuellen Lebensführung nicht zuletzt in Zeiten eines beschleunigten gesellschaftlichen Strukturwandels hat. Deswegen diskutiert der Vortrag den Gesichtspunkt einer Demokratisierung der Muße insbesondere aus bildungstheoretischer (ebenso -empirischer) Perspektive.
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