Es geht also nicht um high versus low oder E versus U. Auch die Debatte um Inklusionismus versus Exklusionismus - kurz gesagt: "möglichst viele" versus "möglichst perfekte" Artikel - geht am Kern der Sache vorbei. Die Frage lautet nicht: Welches Wissen ist wertvoll genug, um in die Wikipedia aufgenommen zu werden, denn die berechtigte Gegenfrage würde immer lauten: wertvoll für wen? Die entscheidende Frage ist vielmehr: Wer kümmert sich? Die Community muss das Wachstum des von ihr verwalteten Artikelbestands in einem Rahmen halten können, der gerade noch zu bewältigen ist. Und das Mittel hierzu sind die über viele Jahre in endlosen Diskussionen entstandenen Relevanzkriterien.
Leider ist Relevanz in diesem Zusammenhang ein ziemlich dummes Wort. Wie gesagt, Wikipedia ist eigentlich eine postmoderne Enzyklopädie ohne ideologische Mission. Akribische Abhandlungen über physikalische Phänomene stehen neben Artikeln zu Pornofilmen, mittelalterlichen Handschriften und seltsamen Rockbands. Will man hier Aufnahmekriterien im Sinne eines Bildungskanons festlegen, kommt man schnell in Teufels Küche. Nein, es sind nicht Relevanz-, sondern "Hierum können und wollen wir uns kümmern"-Kriterien, für die die Weisheit der Massen irgendwann einen griffigeren und präziseren Namen finden wird.
Die deutschsprachige Wikipedia-Community steht nach Jahren kontinuierlichen Wachstums derzeit in der [extern] Kritik. Im September hatte sich ein offenbar länger gärender Unmut über die Löschkriterien entladen, die hierzulande [extern] restriktiver gehandhabt werden als im insoweit toleranteren englischsprachigen Vorbild, das etwa [extern] Stubs, also rudimentäre Artikelansätze zulässt. Auch die Rekrutierung neuer Autoren stagniert. International ist sogar von einem [extern] Autorenschwund, der sich innerhalb eines Jahres [extern] verzehnfacht habe.
Urheber neuangelegter Artikel werden in der deutschsprachigen Wikipedia oft durch Löschungen vor den Kopf gestoßen; wer uneingeladen an Artikeln arbeitet, deren Struktur von einem etablierten Wikipedianer geprägt wurde, muss mit heftigem Gegenwind rechnen. Andererseits gilt die deutschsprachige Wikipedia als vergleichsweise anspruchsvoll, was nicht zuletzt der Aufmerksamkeit der aktiven Wikipedianer geschuldet ist, die jede Änderung argwöhnisch in Minutenschnelle kontrollieren. Die internen Machtstrukturen, welche zahlreiche [extern] potentielle Bearbeiter ausschließen, hat der Netzwerkforscher [extern] Christian Stegbauer in seinem Buch [extern] "Wikipedia. Das Rätsel der Kooperation" (2009) analysiert.
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M. Schindler, and D. Vrandecic. Proceedings of the WebSci'09: Society On-Line, Web Science Overlay Journal, (March 2009)http://journal.webscience.org/213/1/websci09_submission_120.pdf.
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