Webpräsenz: Vertrauen gewinnen und verspielen
(Martin Richter, März 1998)
Das flüchtige Bildschirm-Bild
Der Mensch ist misstrauisch und glaubt vornehmlich gerne das, was er schwarz auf weiß vor sich sieht. Ein Papier in der Hand ist so eine Art manifestierte Glaubwürdigkeit. Der Bildschirm kann da nicht mithalten. Jedes Bild ist flüchtig, es impliziert das permanente Potential eines Stromausfalls oder des alltäglichen Computerabsturzes. Die wirkliche Herkunft ist unbekannt, die Einbindung in einen glaubwürdigen Gesamtkontext (z.B. die Zeitschrift DER SPIEGEL als grundsätzlich glaubwürdiges Medium) nur selten tatsächlich gegeben oder zumindest visualisiert. Entsprechend unklar ist dem Benutzer die Herkunft und Vertrauenswürdigkeit der gefundenen Information. So wird nicht nur einem Webcounter kaum Bedeutung beigemessen (der 2.292.838ste Besucher), sondern auch zuverlässigen Informationen nur mit großem Misstrauen begegnet.
Behauptungen fördern Misstrauen
Tatsachenbehauptungen auf einer Webseite haben ohne entsprechenden Nachweis nicht nur geringen Wert; sie bergen auch (und zwar völlig unabhängig vom tatsächlichen Wahrheitsgehalt) das Risiko, das Vertrauen des Benutzers zu verlieren. Jede Aussage ruft Misstrauen hervor und aktiviert eine Reihe von Prüfungsmechanismen beim Leser. Je einfacher es dem Leser fällt, sein Misstrauen zu formulieren, desto schneller schwindet die Glaubwürdigkeit.
Sich selbst darstellen
Behauptungen des Anbieters über sich selbst sind fast immer problematisch, weil "Wir sind kompetent" die Frage "Sind die (wirklich) kompetent?" hervorruft. "Wir sind preiswert" fördert die Frage "Sind die (wirklich) preiswert?" zutage usw. "Wir machen dieses und jenes und sind eine Firma, die ....." ist für den Leser bereits schwerer in den Griff zu bekommen, daher weniger schädlich für die Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig bringt das aber auch wenig. Denn den Leser interessiert kaum, was fremde Leute machen, mehr schon, was er (der Leser) davon hat. "Wir sind eine tolle Firma" steht auf Skala der Unfähigkeiten deshalb ganz oben, "Unser Produkt ist gut" ist schon besser, leider jedoch unglaubwürdig. "Unser Produkt macht Sie glücklich" ist im Prinzip gut, jedoch auch unglaubwürdig. Das Produkt zu zeigen und dem Kunden beweiskräftig vorzuführen, was ihn glücklich oder zufrieden machen würde, wäre in diesem Sinne ideal. "Damit Sie eine Vorstellung vom Gewicht unserer Brillen haben" ( www.rodenstock.de) ist hierfür ein gutes Beispiel.
Hoher Informationswert - geringe Glaubwürdigkeit
Je wertvoller eine Information oder Behauptung für den Leser sein könnte, desto mehr Misstrauen über den Wahrheitsgehalt wird hervorgerufen: "Stimmt das, kann das stimmen, wo ist der Haken?". Das geht so weit, dass etwa Email-Rundschreiben mit Titeln wie "easy an Geld kommen mit dem Internet", "verzehnfachen Sie Ihre Webhits" oder "Bei uns gibt’s alles umsonst" zumeist ungelesen im Trash landen, obwohl jede dieser Informationen, hätte sie Substanz, von allergrößter Bedeutung wäre. Die Glaubwürdigkeit einer Aussage ist am größten, je unbedeutender die Aussage selbst ist.